Klimafrühling auf der Straße

“Der Frühling lässt erkennbar auf sich warten – ob in der Allgäuer Natur oder im globalen Klima“. Launig eröffnet Manfred Neun vom Fusion Mobility Memmingen Institute beim Memminger Klimafrühling 2024 seinem Vortrag. Dann aber ganz ernst, fordert Neun, der zugleich Erster Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) Memmingen-Unterallgäu ist, einen generellen Systemwechsel hin zu mehr Nachhaltigkeit.

Beim Vortrag vor rund 20 Teilnehmenden im Dietrich-Bonhoeffer-Haus sagte Neun: „Ein ’Klimafrühling’ braucht die Nachhaltigkeit, denn ohne sie sind die Klimaziele nicht zu erreichen.“ Richtschnur sind für den Redner dabei die “Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen“ von 2015. Zu den 17 Zielen gehören „Keine Armut“, „Kein Hunger“, “Bildung für alle“, “Klimaschutz“ sowie „Gesundheit und Wohlbefinden“.

Hier legte Neun bewusst den Finger in die Wunde. Denn Mahnung und Chance ist, dass gilt: „Bei der Nachhaltigkeit sind alle Länder `Entwicklungsländer`, und Klimaschutz funktioniert nur zusammen mit allen anderen Zielen“.

Hin zur aktiven Mobilität

Da scheinen andere Länder und Städte die Nase aber deutlich vorne zu haben: Österreich bei der europäischen 30 km/h-Empfehlung, die Schweiz beim öffentlichen Verkehr, Vittoria-Gasteiz in Spanien beim Fußverkehr, Paris bei urbaner Erreichbarkeit (“15-Minuten Stadt“) und Barcelona, Groningen und viele andere beim Radverkehr. “Warum hat Kopenhagen mehr Fußgänger und doppelt so viele Radler, obwohl es dort mehr regnet als bei uns in Memmingen?“ fragte Neun, und hatte damit den Blick darauf gerichtet, was die Lebendigkeit unserer Städte ausmacht. Mit Jane Jacobs (“Tod und Leben großer amerikanischer Städte“, 1961) und dem weltweit maßgeblichen Kopenhagener Architekten Jan Gehl (“Städte für Menschen“, 1971 ff) begann die Gegenbewegung zu den Auto-gerechten Städten, denen wir die Verödung vieler Innenstädte zu verdanken haben. Dazu musste aber dem „Lauftier Mensch“ seine ureigene Kategorie zugebilligt werden: Was in Politik und Forschung jahrzehntelang als “Nicht-motorisierter-Verkehr“ betitelt wurde, heißt seit 2010 „Aktive Mobilität“.

Aus der Präsentation: Die Mobilitätspyramide verhalf zum internationalen Durchbruch. Heute ist “Aktive Mobilität“  Grundlage für die Umsetzung nachhaltiger Politik im Rahmen des “European Green Deal“.

Veranlasst hat diesen Paradigmenwechsel Manfred Neun zusammen mit Freunden, vorgestellt mit der Mobilitätspyramide auf dem Weltverkehrsgipfel, dem ITF 2011 in Leipzig, und geadelt mit der Anerkennung und weltweiten Umsetzung durch UN Habitat 2014. Als ehemaliger Präsident der European Cyclists’ Federation (ECF), dem Dachverband europäischer Radverkehrs-Organisationen, und aktiv in wissenschaftlichen Netzwerken, steht für ihn fest: „Körperliche Aktivität ist unentbehrlich für unsere Gesundheit, und deshalb muss der Aktiven Mobilität Priorität eingeräumt werden“. Dies kann zum Beispiel mit Fahrradstraßen geschehen, wie sie in Memmingen eine zentrale Rolle für das Radl-Netz spielen, aber wo es mit dem Vorrang der Radelnden dann abrupt zu Ende ist, wenn parkende Autos das Prinzip konterkarieren. Auch nahm der Vortragsredner Bezug auf eine interessante Untersuchung des ECF: Fahrradfahren als aktive Mobilität reduziert laut dieser Studie die Fehlzeiten von Arbeitnehmern deutlich. Mit einem Betrag von 4,5 Milliarden Euro für 2017 ist dies ein beachtlicher Nutzen für die europäische Wirtschaft, Klima- und Gesundheitseffekte noch nicht einberechnet.

Internationale Ziele

Neun kritisierte, dass die Nachhaltigkeitsziele der UN „in der deutschen Verkehrspolitik geradezu konterkariert werden, wenn selbst ein Tempolimit tabu ist.“ Dabei hat „Deutschland in der UN-Vollversammlung den Zielen zugestimmt und sie drei Monate später national ratifiziert.“ Deshalb sei „ein Systemwechsel notwendig, um so die Wende beim Klima und bei der Nachhaltigkeit zu schaffen.“ Europa leistet da schon deutlich mehr in Richtung einer „Transformation zur Zukunftssicherung“. Dies begann mit der 30 km/h-Empfehlung für Wohngebiete, setzt sich fort in verschiedenen Facetten des European Green Deal, und wird jetzt deutlich mit der “Europäischen Erklärung zum Radverkehr“ vom 4. April; Aufforderung: die Erschließung des gesamten Potenzials von Aktiver Mobilität und Radverkehr auf europäischer und nationaler Ebene.

Als einfaches Denkmodell für einen nachhaltigen Systemwechsel erklärte Neun den systemischen Ansatz der “Fusion Mobility“, der seit 2017 in einem europäischen Netzwerk von Wissenschaftlerinnen und Praktikern entwickelt wird. Dabei wird die Aktive Mobilität priorisiert, und mit der Interaktion von sechs Subsystemen das nicht-nachhaltige “Silo-Denken“ überwunden. Zu diesen Subsystemen gehören neben der Verhaltenskategorie (aktive/passive Mobilität) der öffentliche Raum (Straßen und Plätze), der öffentliche Verkehr (Busse, Bahnen und Sharing-Angebote) sowie Fahrzeuge und deren Infrastruktur ebenso  wie digitale Mobilitätssysteme, von der KI bis zur Mobilitätsvermeidung mittels Kommunikation. Mit Beispielen machte Neun die einfache Anwendung deutlich, denn es soll nicht nur Planern und Forscherinnen, sondern besonders kommunalen Entscheidern wie allen Mitdenken-Wollenden ein Zugang zu den positiven Effekten einer Mobilitätswende sein.

Ausblicke in Memmingen

Einen Ausblick gab Neun auf die ADFC-Radl-Demo für Menschenrechte und Demokratie (25.04., zusammen mit BfMD), die Kidical Mass (4.05.), den diesjährigen “Weltfahrradtag“ (3.06.), und das ADFC-Programm zu den “Memminger Freiheitstouren“ im Jahr der Memminger Freiheitsrechte 2025. Und im ADFC-Allgäu-Newsletter (02-2024) gibt es ein spannendes Interview mit Oberbürgermeister Jan Rothenbacher zur Mobilitätsentwicklung in Memmingen unter dem Titel: “Autos haben keine Rechte. Menschen haben Rechte“.

“Memmingen ist eine Stadt der Plätze, die man nicht zu Straßen degradieren sollte“, und nach Ansicht des Experten hat man auch in allen anderen Kategorien in punkto Mobilität „[…] von Haus aus beste Voraussetzungen. Darauf aufbauend sind erhebliche Steigerungen machbar – für die Menschen und unser aller Stadt-Klima.“

Kontakt

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Allgemeiner Deutsche Fahrradclub (ADFC)
Kreisverband Memmingen-Unterallgäu
Manfred G. Neun +49 171 5275145

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In den kommenden drei Wochen wartet beim Klimafrühling ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm auf euch.

Hier findet ihr das gesamte Programm.


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