Über 13.000 Autos, LKWs und Motorräder durchkreuzen Steinheim täglich. Dabei tragen sie nicht nur Lärm, Schmutz und Abgase in das Ortszentrum, sondern zerteilen den Ortskern regelrecht in zwei Hälften. Eine Entlastung ist hier schon seit langem nötig. Die Stadt Memmingen zog deshalb seit 2021 sechs Varianten zur Verkehrsberuhigung Steinheims in Betracht. Aus finanziellen Gründen bevorzugte die Stadtverwaltung im Herbst und Winter 2021 den Neubau einer Umgehungsstraße. Aber ist das tatsächlich sinnvoll? Und welche anderen Möglichkeiten gibt es?
Was spricht gegen eine neue Umgehungsstraße?
Flächenversiegelung und Hochwassergefahr
Die neue Umgehungsstraße (Varianten I, II, III) hätte eine Breite von mindestens 30 Meter auf einer Länge von drei Kilometern. Auf einen Schlag würden so insgesamt zehn Hektar – also rund sieben Fußballfelder – landwirtschaftliche Fläche zu Asphalt. Zubetonierter oder asphaltierter Boden kann keine Nährstoffe oder Regen mehr aufnehmen. Die Hochwassergefahr steigt und und fruchtbarer Boden geht verloren. Gleichzeitig verliert die Stadt Memmingen wertvolle, bereits designierte Gewerbefläche in direkter Nähe zum Gewerbegebiet Nord.
Lärm und Abgase an anderer Stelle
Rollt der Verkehr künftig westlich an der Ortsmitte vorbei, leiden die dortigen Anwohner*innen unter dem Lärm und den Abgasen von rund 13.000 Autos pro Tag. Gerade einmal 300 Meter Abstand zu Verkehr mit bis zu Tempo 100 würde umfangreiche Lärmschutzmaßnahmen erforderlich machen, und Kosten und Flächenverbrauch stark erhöhen. Verkehrssimulationen zeigen zudem: Eine Umgehungsstraße erhöht voraussichtlich die Verkehrsbelastung im Memminger Stadtgebiet.
Entlastung jetzt!
Vor allem bedeutet ein Straßenneubau erst eine Entlastung in ferner Zukunft. Laut dem Straßenbauamt Kempten würde ein Neubau etwa sieben Jahre dauern. In diesen sieben Jahren würde die Lärmbelastung in Steinheim durch Bauarbeiten weiter verstärkt. Konflikte beim Erwerb der Grundstücke und mögliche Enteignungsprozesse könnten die Umsetzung noch weiter verzögern.
Kosten und Notwendigkeit
Mit circa 20 Millionen Euro Gesamtkosten und einer Länge von drei Kilometern wäre eine neue Umgehungsstraße das größte zusammenhängende Straßenbauprojekt der Stadtgeschichte. Selbst bei in Aussicht stehender Förderung über 80% wären die Baukosten und die darin investierten Steuergelder enorm. Da die derzeitige Planung bisher nur auf schwer vereinfachten Simulationen basiert, muss davon ausgegangen werden, dass sich Umfang und Kosten noch erhöhen werden. Hinzu kommen Instandhaltungskosten, welche nicht in der Förderung mit inbegriffen sind.
Ein Schritt in die Vergangenheit.
Die Stadtverwaltung argumentierte, die Europastraße sei einer zukünftigen Zunahme des Verkehrs von und nach Memmingen nicht gewachsen. Gerechnet werde mit rund 33.000 zusätzlichen PKW-Fahrten pro Tag in den nächsten 8 Jahren. Bei dieser Hochrechnung wird jedoch nicht die gesetzlich veranlasste Verkehrswende bis 2030 berücksichtigt. Seit 2020 ist Memmingen Mitglied im Verkehrsverbund Mittelschwaben, und arbeitet an einer besseren Vernetzung zwischen der Stadt und ihrer Umgebung. Bereits jetzt im Dezember 2021 startet die Regio-S-Bahn zwischen Memmingen und Ulm ihren Betrieb. In den nächsten zwei Jahren sollen 250.000 Euro in ein nachhaltiges und zukunftsorientiertes Mobilitätskonzept für Memmingen investiert werden. Auch das zeigt: Die Hochrechnung der Stadtverwaltung war schlicht nicht zeitgemäß und der Bedarf für eine millionenschwere Investition bleibt fraglich.
Verkehrsentlastung geht auch anders!
Statt eine schnelle, günstige, und effektive Lösung zu liefern, kostet ein Straßenneubau viel Geld, verbraucht wertvolle Flächen, verlagert Abgase und Lärmbelastung und verschleppt die erhoffte Entlastung Steinheims in die ferne Zukunft. Welche Alternativen gibt es?
Statt dem Bau einer neuen Straße fordern wir die Nutzung bestehender Straßen. In gerade einmal 300 Metern Entfernung zur möglichen Umgehungsstraße verläuft mit der Europastraße bereits eine Alternative zum derzeitigen Straßenverlauf. Um eine effektive Zufahrt ohne Staus und Verzögerungen zu ermöglichen, schlagen wir eine Nutzung sowohl der Fraunhofer- als auch der Teramostraße als Zufahrtswege vor. Ein Teil des Verkehrs könnte zusätzlich auf eine neu gebaute Verbindungsstraße ähnlich der Variante IV umgeleitet werden. Eine Verkehrsberuhigung im Steinheimer Ortskern mit Anpflanzungen und 30er-Zone würde die neue Verkehrsführung zur schnelleren und attraktiveren Option machen.
Jeder für eine Straße investierte Euro ist besser und zukunftsgewandter in guten, häufigen, und zuverlässigen Nahverkehr von und nach Memmingen investiert. Vor allem mit Blick auf das Klimaziel von 1,5 Grad muss auch die Stadt Verkehrspolitik über das Auto hinaus machen. Wir fordern: Statt Straßen zu bauen, sollte mehr Geld aus Stadthaushalt und Förderungen in die Verbesserung und Neuschaffung von ÖPNV, Park-and-Ride-Infrastruktur und Fahrradschnellwegen fließen.
Unsere Arbeit
Als Antwort auf die rückwärtsgewandte Planung einer Umgehungsstraße hat der Klimastammtisch Memmingen ab Oktober 2021 für alternative Lösungen zur Entlastung des Steinheimer Ortskerns geworben. Mit Leserbriefen, Online-Aufrufen und Gesprächen haben wir zur Teilnahme an der Online-Bürgerbeteiligung und zur Wahl einer umweltschonenden Variante aufgerufen. Mit Erfolg! Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung zeigten breite Kritik an Flächenverbrauch und einseitiger Verkehrsplanung. Seit Januar 2022 befinden sich neue, flächensparende Varianten in der Entwicklung. Wie diese, neue Variante aussehen wird, ist bisher aber noch unklar. Als Klimastammtisch hoffen wir daher weiter auf die beste Lösung für Steinheim und die Umwelt zugleich!
Schreibe einen Kommentar